
Polen – Liebe auf den zweiten Blick
Polen soll unser erster Stopp, quasi ein Transitland ins Baltikum, sein. Bier trinken und am Strand entspannen, so stellen wir uns die Zeit vor. Das wir nach 5 Wochen immer noch mit leuchtenden Augen Piroggen schlemmen und alkoholfreies polnisches Lager trinken werden, ahnen wir nicht.
SO RICHTIGE URLAUBSZEIT
Es ist so unfassbar großartig zu dritt zu reisen. “Mal schauen, wie lange es zu dritt klappt”, haben wir anfangs gesagt und schon nach kurzer Zeit wollen wir Jule nicht mehr gehen lassen. Im Bus haben wir uns gut gefunden. Jule schläft unten und morgens klappen wir ihr Bett zurück. Wir schlafen zu dritt oben.
Morgens ist immer Hannas Sport-Stunde und Jule steigt direkt mit ein. Verschwitzt und nach einem Sprung ins Meer kommen beide glücklich zurück und wir machen Frühstück. Essen ist bei uns immer sehr wichtig und nimmt viel Zeit in Anspruch, so auch hier in Polen.
Die Wahl unseres ersten Campingplatzes fällt auf Pogorzelica. Er liegt nah am Ort, ist aber auch nicht mitten im Touristen Hotspot. Auf dem Weg waren wir abgeschreckt von der Ballermann Stimmung an der gesamten Küstenstraße und sind froh diesen etwas ruhigeren Ort ohne torkelnde gröhlende Menschen gefunden zu haben. Außerdem liegt der Platz 100m vom Strand entfernt und direkt an einem geschützten Wald. Perfekte Bedingungen!
Am Eingang sind wir überrascht, dass wir mit Englisch überhaupt nicht weit kommen und auch die ganze Region ist nicht auf ausländische Touristen eingestellt. Kommunikation ist meist nur mit Übersetzer auf dem Handy, vielen Gesten und Humor möglich. Dabei lernen wir die Polen als etwas scheu, aber durchaus hilfsbereit kennen. Es ist daher nicht ganz einfach den Camping Betreibern klar zu machen, dass wir mit 3 Erwachsenen und einem Baby vorhaben in diesem einen Bus zu schlafen. Die ungläubigen Gesichter amüsieren uns sehr!
Die nächsten Tage werden unsere Strand-Tage. Oh wie wunderbar ist es, mal so richtig am Wasser zu liegen! Wir lesen viel und spielen mit Enno, der Sand und auch Wasser super findet. Als quasi die einzigen Ausländer fallen wir am Strand nicht auf, denn wir haben zufällig das wichtigste Utensil dabei: Einen Windschutz. Der findet hier allerdings eine andere Verwendung.
Ob Wind oder nicht, jeder baut seinen Windschutz zu mindestens drei Seiten auf, um sich von den Nachbarn abzugrenzen und so sieht der Strand hier überall aus wie ein buntes PatchWork Muster. Ein Gartenzaun am Strand eben. Auch Enno findet abhängen am Strand ganz ok und beschäftigt sich zeitweise mal ganz mit sich, was er sonst sehr selten tut.
Der Platz ist irgendwie schön, aber auch nicht wirklich gemütlich. Wir verbringen unsere Zeit daher lieber am Strand und im wunderschönen Wald, wo wir viele Kilometer wandern können. Nach einem ausgiebigen Strandspaziergang beschließen wir erstmal die Restaurant Szene ausgiebig zu erkunden und essen richtig richtig gute Pasta für vier Euro. Gut auch, dass Jule da ist, da sie es übernimmt Enno in den Schlaf zu tragen, sodass wir mal ganz in Ruhe zu zweit einen Moment genießen können. Außerdem beschließen wir nach dem Essen uns auf die Jahrmarkt Stimmung einzulassen. Wir verzichten allerdings auf eine pinke Haarsträhne, sondern spielen lieber eine heiße Runde Airhockey an einem der unzähligen Tische. Corona scheint es hier übrigens nicht zu geben. Menschen mit Maske sehen wir nie und es ist so voll hier!
Doch es ist ein besonderer Ort. Die Weite und auch der Wald haben eine wirklich gute Energie und wir haben das Gefühl richtig gut durchzuatmen.
Wir merken die Leichtigkeit unseres Urlaubs daran, dass wir alle drei spontan sein können und uns gut aufeinander einlassen. So klappt tatsächlich die verrückte Aktion nach dem Strand Tag in Rekordzeit zu kochen und dann bepackt mit Essen, Snacks, Wein, warmen Klamotten und Enno unter dem Arm wieder zum Strand zu laufen, wo wir den Sonnenuntergang sehen und vor allem darauf warten, dass es dunkel ist. Denn es ist Sternschnuppen Nacht. Es ist still um uns, das Meer plätschert nur leise und wir liegen ganz still im Sand und starren konzentriert in den Himmel. Enno schläft eingekuschelt zwischen uns dreien. Immer wieder kommt eine helle Sternschnuppe angeflogen und wir versuchen uns schöne Dinge zu wünschen. Es ist ein Moment der Unendlichkeit.
DAS WETTER
Hatten wir uns nicht auf der ersten Reise immer über die Hitze beschwert? Dafür Dann bricht der Regen los. Mit mäßig gutem Wetter haben wir gerechnet, aber nicht mit diesem Wolkenbruch am Nachmittag. Wir fühlen uns sehr dankbar, dass wir einen Bus und keinen Wohnwagen mit Vorzelt oder sogar nur ein Zelt haben, als wir im Bus sitzen während es über uns schüttet und donnert und wir dem Wasser zusehen wie es steigt. Bald sind unsere Fahrradreifen schon 10 cm im Wasser und um uns herum werden von unseren Nachbarn panisch Gräben gezogen und Dinge in Sicherheit gebracht. Wahnsinn welche Massen an Wasser sich hier sammeln können. Der Platz ist ein See mit Inseln geworden.
GÜNSTIG REISEN IN POLEN
Camping, so bemerken wir jedoch schnell, ist in Polen kein Lifestyle wie bei uns und eine bewusste Entscheidung, sondern eher eine Möglichkeit günstig zu reisen. Wir treffen viele Leute auf den Plätzen, die mit Zelt und ohne Stühle oder anderem Camping Equipment, unterwegs sind. Alles ist hier einfach gehalten und gleichzeitig entsprechend super günstig.
Doch auch der gesamte Küstenabschnitt ist nicht auf hippe Touristen aus dem Ausland ausgelegt. Es gibt keine schicken Bars, keine industrial-style Restaurants, keine Vintage Shops im Landhausstil oder minimalistische skandinavische Cafés, ja nicht einmal als touristisch aufgemachte rustikale polnische Küche. Stattdessen wirken die Innenstädte der kleinen Orte, die sich an der Straße parallel zum Meer schlängeln eher schrill und teils schäbig auf uns. Überall gibt es bunte Haarstähnen, die sich Kinder flechten lassen. Jugendliche amüsieren sich an Jahrmarktsbuden und viele Restaurants sind wie Kantinen mit Self-Service auf Plastiktabletts aufgebaut. Wir waren am Anfang irritiert und brauchten eine Zeit, um uns darauf einzulassen. Doch wir konnten uns zum Glück mit der überfüllten lauten Strand-Straße versöhnen, denn der einsam, weitläufig Wald war schnell zu erreichen und ein super Gegenpol.
Und eine Sache ist hier einfach großartig: Das Essen! Wir haben geschlemmt, Eis, Kuchen und Baguettes probiert und Kraut, Prioggen und viele Köstlichkeiten für uns (Wieder-)Entdeckt. Da Essen für uns im Leben ein ganz wichtiger Bestandteil ist, scheint Polen für uns ein super Reiseland zu sein.
WEITER GEHT’S
Wir wollen unser Glück nach vier Tagen auf einem anderen Platz versuchen, stellen aber fest, dass auch über 100km weiter bei Mielnko alle Urlaubsorte die gleichen Jahrmarkt Buden, Angebote und ähnliches Flair haben. Der Campinglatz ist deutlich netter, hat aber Parzellen und lädt daher auch nicht so richtig zum Verweilen ein.
Wir sind daher auch hier viel unterwegs, machen Ausflüge in den Ort und am Strand entlang. Die Menschenmassen schieben sich an der Promenade entlang und wir müssen mit unserem Kinderwagen viel Geduld haben. Das Highlight ist aber auch hier das Essen! Piroggen, Gulasch und viel Krautsalat. Dazu Pommes und Alkoholfreies Bier. Ein Festschmaus am Mittag.
Wir sehnen uns jedoch nach Natur und Freiheit. Irgendwie haben wir uns Polen anders vorgestellt. Stiller, weiter, leerer, natürlicher. Freddys und Jules Eltern wollen uns bald besuchen kommen und wir beschließen schon einen Tag früher nach Krajenka zu reisen, wo wir auf den Spuren von Ennos Vorfahren wandeln wollen.
REISEN MIT BESUCH
Es macht Spaß mit Jule zu reisen und es sind die kleinen Momente, die unsere Zeit mit ihr so kostbar machen. Vom Kaffeegeruch geweckt zu werden, zählt definitiv dazu! Auch für Enno ist es schön eine weitere Spielepartnerin zu haben und er genießt es sichtlich neuen Input zu bekommen. Es fällt ihm aktuell schwer einzuschlafen und es sind nicht wir als Eltern, sondern Jule, die eine neue Einschlaf-Trage-Haltung entdecken, die super funktioniert.
Jule erzählt, dass sie gerne eine Freundin für Enno sein möchte und es ihr wichtig ist, ihn von Anfang an im Leben kennenzulernen. Ihre Selbstverständlichkeit in unseren Familienalltag reinzuspringen beeindruckt uns. Wir philosophieren viel und verbringen die meisten Abende und viele Wanderungen mit Diskussionen über die Welt, Kinder, aber auch unsere eigene Kindheit. Dass wir mit ihr in vielen Themen so gleich schwingen, macht es uns leicht zusammen zu reisen und einen ehrlichen, tiefen Zugang zueinander zu halten. Außerdem ist es für uns richtig spannend eine Außenperspektive auf uns als Eltern zu bekommen.
Wir sind uns manchmal unsicher, ob wir mit Enno alles richtig machen und gerade probieren wir die ersten Tage Beikost aus, was viele Fragen im Alltag aufwirft. Da tut es uns so gut mit Jule eine Gesprächspartnerin zu haben, die sehr wertschätzend und reflektiert unsere Herausforderungen mit diskutiert!
Nicht zuletzt freuen wir uns riesig, dass Jule eine Expertin bei Stoffwindeln, im Abhalten, Breifreier Beikost und beim Einschlafen geworden ist.
Danke, dass du uns begleitet hast, du warst eine große Bereicherung.